Einrichtungsbezogene Impfpflicht ist verfassungskonform

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 27.04.2022 (1 BvR 2649/21; veröffentlicht am 19.05.2022) mehrere gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht eingereichten Verfassungsbeschwerden nunmehr auch im Hauptsacheverfahren zurückgewiesen, nachdem es bereits am 10.02.2022 einen Antrag im Eilverfahren abgelehnt hatte. Zwar greife die in § 20a IfSG geregelte Nachweispflicht in die körperliche Unversehrtheit und auch die Berufsfreiheit ein. Der Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, vulnerable Menschen vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen, ist legitim. Gerade bei älteren und immunsupprimierten Personen bestehe ein erhöhtes Risiko für eine Infektion. Der Gesetzgeber durfte somit bei der Verabschiedung des Gesetzes von einer sich verschärfenden pandemischen Lage und einer damit einhergehenden besonderen Gefährdung älterer und vorerkrankter Menschen ausgehen. Der Gesetzgeber konnte darüber hinaus davon ausgehen, dass sich geimpfte und genesene Personen seltener mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren und daher das Virus seltener übertragen. Die Nachweispflicht ist somit auch geeignet, zum Schutz des Lebens und der Gesundheit vulnerabler Menschen beizutragen.

Für den Gesetzgeber bestand ein weiter Beurteilungsspielraum, denn die Pandemie ist durch eine gefährliche, aber schwer vorhersehbare Dynamik geprägt, die Sachlage also komplex. Es standen auch keine gleich wirksamen, aber die betroffenen Grundrechte weniger stark einschränkenden gesetzgeberischen Mittel zur Verfügung.
Die Pflicht zum Nachweis einer Impfung ist auf der Grundlage der zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes verfügbaren Erkenntnisse auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 20a IfSG keinen ggf. hoheitlich durchsetzbaren Impfzwang begründet, sondern den Betroffenen bleibt die Entscheidung überlassen, einen Impfnachweis zu erbringen. Letztlich stelle die Regelung den Betroffenen vor die Wahl, die bisherige Tätigkeit aufzugeben oder in die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität einzuwilligen. Diesem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit stehen Verfassungsgüter mit überragendem Stellenwert gegenüber. Es obliegt dem Gesetzgeber, sich in Erfüllung seiner ebenfalls aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgenden Schutzverpflichtung schützend vor das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu stellen. Es beruht auf einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Abwägung, dass der Gesetzgeber dem Schutz vulnerabler Menschen den Vorrang vor einer in jeder Hinsicht freien Impfentscheidung gegeben hat. Trotz der hohen Eingriffsintensität müssen die grundrechtlich geschützten Interessen der im Gesundheits- und Pflegebereich Tätigen letztlich zurücktreten. Dabei war für das BVerfG im Rahmen der Abwägung auch maßgeblich, dass vulnerable Menschen sich vielfach weder selbst durch eine Impfung wirksam schützen noch den Kontakt zu den im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Personen vermeiden können, da sie auf deren Leistungen typischerweise angewiesen sind. Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung steht im Ergebnis die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber.

Zum Eingriff in die Berufsfreiheit führte das BVerfG aus, dass die Ermächtigung zur Anordnung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes zwar einen eigenständigen Eingriff ist die Berufsfreiheit darstelle. Sie sei jedoch gerechtfertigt, da das betroffene Personal in Heil- und Pflegeberufen eine besondere Verantwortung gegenüber den von ihm behandelten und betreuten Personen habe.

Die Zusammenfassung beruht auf der Pressemitteilung des BVerfG vom 19.05.2022 und den Entscheidungsgründen.

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