DHPV Weihnachtsnewsletter

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Leserinnen und Leser,

zum Jahresende lassen Sie mich einmal ganz persönlich philosophieren über etwas, was mich als Althumanist in der Begegnung mit Patientinnen und Patienten oder Angehörigen immer wieder beschäftigt, nämlich die Frage, ob Leiden auch Sinn machen kann und ob etwas dran ist, was uns das Altertum lehrte, wie das altgriechische Παθήματα μαθήματα / Pathēmata mathēmata, d.h. „Durch Leiden lernen wir" oder lateinisch etwa Qui doluit meminit – „Wer litt, vergisst nicht.“

Auch für die Euthanasie gab es antike Vorläufer, z.B. Sokrates Schierlingsbecher. Kennen Sie außerdem das sardonische Kraut? In Sardo, der alten phönizischen Stadt auf Sardinien, soll eben diese Giftpflanze durch ihren Duft zum Genuss verleitet und dabei den Tod herbeigeführt haben. Durch die Stimulation der Gesichtsmuskulatur trotzte das Sardonische Kraut dem Vergifteten im Todeskampf ein letztes Lächeln ab – und heute noch bezeichnen wir den Gesichtsausdruck beim Wundstarrkrampf als Risus sardonicus. Angeblich war es Brauch, dass die Kinder von Sardo Sterbehilfe übten, indem sie ihre Alten auf diese Weise in den Tod schickten und ihnen dabei einen würdigen Anschein verleihen wollten, gerade so als wenn Schmerzen und Tod ein Leichtes seien.

Vom Schmerzgedächtnis nach heutiger Vorstellung wusste man natürlich nichts. Und zu allen Zeiten waren Schmerzen immer auch in einer Palliativsituation, die man nur so nicht nannte und kannte, das am meisten belastende Symptom. Noch Goethe konstatierte: "Die Schmerzen sind es, die ich rufe, denn es sind Freunde, Gutes raten sie." Wie die Menschen zu dieser Zeit ohne adäquate Medikation waren, hatte auch Goethe keine andere Wahl, als Schmerzen zu akzeptieren. Generationen von Ärzten und Schriftgelehrten haben sich bemüht, Leid und Leiden in die Ordnung der Dinge einzufügen. Damit versuchten sie, dem Leiden wenigstens einen befriedigenden Sinn abzugewinnen, wenn sie es schon nicht beherrschen konnten. Theologen gilt Jesus, dessen Geburt mehr als zwei Milliarden Menschen überall auf der Welt an Weihnachten feiern, und vor allem sein Leiden am Kreuz, als Vorbild.

Lange Zeit war der medizinische Zugang zu Leid und Schmerzen sehr körperorientiert. Es war Cicely Saunders, Begründerin der modernen Hospizbewegung, die in den 1960iger Jahren das Konzept des umfassenden Schmerzes, des sogenannten Total Pain, entwickelt und auf die seelische, soziale und spirituelle Aspekte des Schmerzes bzw. Leidens hingewiesen hat.

Die Corona-Pandemie, die uns jetzt seit zwei Jahren beschäftigt, hat vor allem am Anfang großes seelisches, soziales und spirituelles Leid mit sich gebracht, als auf Grund der Kontaktbeschränkungen viele Menschen einsam und alleine verstorben sind. Und auch für die Begleitenden war es eine leidvolle Erfahrung, stand die Situation doch im starken Widerspruch zur Grundüberzeugung der Hospizbewegung, dass niemand alleine sterben muss, sondern begleitet von Mitmenschen und unter Einbezug aller seiner Bedürfnisse.

Es ist dieses Mit-Leiden im Sinne von Mitgefühl oder „Compassion“, das die Hospizarbeit und Palliativversorgung und die dort haupt- und vor allem auch ehrenamtlich Engagierten auszeichnet. Es ist das – um Stefan Zweig zu zitieren – „unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitduldend alles durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch über dies Letzte hinaus.”

Dieses Mit-Leiden – um meine einführende Frage noch einmal neu zu formulieren – macht aber auch in einer anderen Bedeutung Sinn, bringt es doch Sinnhaftigkeit für das eigene Leben der in der Begleitung Sterbender engagierten Menschen. Sie lernen, was Sterbenden im Leben wichtig war und was sie am Lebensende bereuen, etwa dass sie sich selbst nicht treu geblieben sind oder sich nicht genügend Zeit für Familie und Freunde genommen haben.

Mit diesen persönlichen Gedanken möchte ich Sie in die Weihnachtszeit und ins neue Jahr verabschieden. In meiner Eigenschaft als Palliativmediziner und Vorsitzender des DHPV ist es mir am Ende des Jahres aber auch wichtig, immer wieder auf die guten Möglichkeiten hinzuweisen, Betroffene würdevoll, dabei symptomarm bis symptomfrei, an der Seite ihrer Angehörigen bis zuletzt zu begleiten und damit Fragen nach Suizidbeihilfe oder gar aktiver Sterbehilfe eine sinn-volle Alternative entgegen zu setzen. Mit Blick in das vor uns liegende Jahr bleibt zu hoffen, dass dies dem Gesetzgeber klar sein möge, wenn er hier durch die angekündigte gesetzliche Ausgestaltung der Suizidbeihilfe regulierend eingreift. Der DHPV wird hier sehr wachsam agieren.

Für heute wünsche ich Ihnen allen nachdenklich, aber positiv gestimmt, eine erholsame und besinnliche Zeit sowie für Ihr persönliches, berufliches und ehrenamtliches Umfeld alles Gute zum Jahreswechsel.

Stets Ihr
Winfried Hardinghaus

 

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