Tagung zur Zukunft Suizidprävention

Hospizarbeit und Palliativversorgung im Kontext der Suizidprävention

Impuls anlässlich der Tagung „Die Zukunft der Suizidprävention – Der Weg von der Beratung zur Hilfe - Entwicklung einer nationalen Suizidpräventionsstrategie (NaSuPS)“ auf Einladung des Bundesministeriums für Gesundheit am 24. / 25. August 2023

Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des DHPV

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung gemäß dem am 6.7.2023 beschlossenen Antrag auf, neben einer Suizidpräventionsstrategie bis zum 30. Juni 2024 einen Gesetzentwurf zur Suizidprävention vorzulegen. Der Gesetzentwurf soll den Schwerpunkt auf eine umfassende Prävention im Alltag legen. Dazu gehört eine flächendeckende palliativmedizinische Versorgung in ambulanten und stationären Einrichtungen.

Für eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention hatte der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) sowie mit weiteren Bündnispartnern (NaSPro, DGP) bereits entsprechende Forderungen formuliert. Noch nicht genannt und daher an dieser Stelle hervorgehoben sind beispielsweise die Stärkung der Schulsozialarbeit, die schulpsychologische Beratung, daneben auch Kriseninterventions- und Wohnprojekte für Jugendliche. Nicht zu vergessen die Verankerung von Suizidalität und Suizidprävention in der Aus-, Fort- und Weiterbildung für Angehörige der medizinischen, pflegerischen und sozialen Berufsgruppen, darunter die Erstversorgung mit Rettungsdienst, Polizei und Notfallseelsorge.

Bei einem größeren zur Verfügung stehenden Zeitrahmen könnten an dieser Stelle weitere, darunter auch eher indirekte Maßnahmen, die ebenfalls zur Suizidprävention beitragen können, Erwähnung finden (erfolgreiche Medikation bei Angstzuständen u.a.m.).

Was uns – und hier spreche ich durchaus im Namen von DHPV, DGP (hier anwesend Frau Prof. Bausewein) sowie der Bundesärztekammer (hier anwesend Herr Petzold), als gemeinsame Träger der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland – besonders wichtig erscheint, ist:

Der Ausbau der Hospizarbeit und Palliativversorgung als bedeutender Baustein in der Prävention

1. Hospizarbeit und Palliative Care in stationären Pflegeeinrichtungen

Jeder Wohnbereich sollte eine Palliative Care Pflegekraft vorhalten, um eine Hospizkultur in den Pflegeeinrichtungen nachhaltig zu verankern. Die Finanzierung hat zusätzlich zum jeweiligen Personalschlüssel zu erfolgen und darf nicht zu Lasten der Bewohner: innen gehen.

In diesem Zusammenhang sind breite Qualifizierungsmaßnahmen für alle Mitarbeitenden notwendig.

2. Trauer und Einsamkeit

Ein gelingender Trauerprozess ist eine wichtige Suizidprophylaxe. Der DHPV fordert daher, die Förderung auch eines niederschwelligen qualifizierten Trauerbegleitungsangebots als Aufgabe des ambulanten Hospizdienstes nach § 39 a Abs. 2 SGB V.

Wenn wir sterbende Menschen begleiten und ihnen gerade bei Todeswünschen und Suizidgedanken unsere guten Möglichkeiten einer kompetenten und würdevollen Begleitung anbieten – eben auch als Prävention – dann müssen wir auch den An- und Zugehörigen ein Unterstützungsangebot machen. Das Wissen um Trauerprozesse und die Begleitung in der Trauer helfen, das eigene Leben besser zu verstehen und ebenso Mitsterbewünsche einzuordnen, dies auch mit Unterstützung qualifizierter ehrenamtlicher Trauerbegleiterinnen und -begleiter.

Trauer ist ein wichtiger Weg, Einsamkeit überwinden zu können.

Maßnahmen gegen Einsamkeit und Isolation stellen sich uns heute als zunehmende Aufgabenfelder in der Hospizarbeit und Palliativversorgung dar. Sterben, so wie es in der Charta zur Betreuung Sterbender formuliert ist, soll in Verbundenheit möglich sein.

In den spezialisierten Diensten und Einrichtungen, den SAPV-Teams, den Palliativdiensten und -stationen achten wir darauf, dass weitergehende Hilfen zur sozialen Teilhabe entwickelt werden, etwa die Einbindung von Verwandten, Freundinnen und Freunden oder Nachbarschaftshilfen.

Gerade in Berlin in meiner Tätigkeit als Leiter einer Klinik für Palliativmedizin erlebe ich immer wieder von Einsamkeit geprägte Gegenbeispiele wie die 45-jährige Polizistin mit einem Bauchspeicheldrüsenkrebs, die keinerlei An- oder Zugehörigen hatte und deren Leichnam von der Stadt Berlin ordnungsbehördlich bestattet werden musste.

Weitere traurige Beispiele dazu würden wohl jedem von uns einfallen, auch zu "gesunden" Suizidwilligen, die vor allem einsam sind. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die niederländische Studie aus Utrecht, bei der von rund 10.000 Personen, die Suizidgedanken hegten, ca. 60 Prozent der Befragten Einsamkeit als Hauptgrund angegeben haben (siehe hier).

Der DHPV begrüßt es, dass die Bundesregierung nun über das Bundesfamilienministerium eine nationale Strategie gegen Einsamkeit entwickelt.

3. Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV)

Die SAPV stellt sich als spezifische Gesamt- bzw. Komplexleistung im ambulanten Versorgungssektor dar und beinhaltet nicht nur medizinische und pflegerische Leistungsanteile, sondern notwendigerweise auch psychosoziale Leistungen, die durch entsprechende Fachkräfte verbracht werden. Wichtige Aufgaben der psychosozialen Fachkräfte, deren strukturelle Anerkennung wir als solche einfordern, sind personenzentrierte und ressourcenorientierte Gesprächsangebote.

4. Krankenhaus

In den Krankenhäusern nach §107 SGB V sollten obligatorisch Palliativdienste für alle  Stationen bei Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung vorgehalten werden. Im Krankheitsverlauf tritt sehr häufig im Zusammenhang mit Krankenhausaufenthalten die palliative Versorgung und die Unausweichlichkeit des nahen Sterbens in den Vordergrund. Gerade in dieser Situation ist für die Suizidprävention im Krankenhaus eine fachlich kompetente multiprofessionelle Beratung notwendig.

Dieser Punkt war auch Frau Prof. Bausewein als Präsidentin der DGP in einem gemeinsamen Gespräch, das sie und ich in Vorbereitung für den heutigen Tag geführt haben, wichtig. Dies genauso wie der folgende letzte Punkt:

5. Die Förderung von regionalen Netzwerken

Durch Initiative der Charta-Träger DHPV, DGP und BÄK ist die Förderung von regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerken bereits vorangekommen, nicht zuletzt auch durch die finanzielle Förderung durch die PKV. Unzulänglich ist aber z.B. immer noch die Tatsache, dass die GKV nur einzutreten hat, wenn auch die Kommunen zur Förderung bereit sind. Hier sollten durchaus auch die Kommunen mehr in die Pflicht genommen werden.

Zum Schluss möchte ich Ihnen ein Beispiel aus meinem persönlichen Erleben als Palliativmediziner erzählen, das bis auf die Pflegeheimsituation die genannten Punkte inkludiert:

Am 1. August letzten Jahres: Ein mobiler und geistig fitter Patient leidet unter einem Thymuskarzinom. Er empfindet seine Schmerzen aufgrund von Knochenmetstasen als unerträglich und nimmt in suizidaler Absicht eine Überdosis eines Blutverdünners. Weil er nicht zuhause in einer Blutlache enden will, lässt er sich von einem Krankenwagen in die nächste Klinik fahren. Hier lehnt er ein Antidot sowie Schmerzmittel ab. Ein hinzugezogener Psychiater bestätigt die freie Entscheidung des Patienten, sodass man seinem Sterbewunsch nachkommen will, ihn allerdings dazu in unser Haus auf die Palliativstation verlegt. Hier gelingt es mir zum Glück in einem längeren vertrauensvollen Gespräch, dem Patienten die Gabe von einer Ampulle Morphin förmlich abzuringen. Durch das anschließende Erleben von zwei Stunden Beschwerdefreiheit ließ der Patient von seinem Sterbewunsch ab, eine konsequente Schmerzeinstellung dagegen zu und konnte schon bald darauf das Krankenhaus zu Fuß verlassen. Was dem Patienten neben einer fachgerechten Schmerztherapie gefehlt hat, waren:

  • in seiner Einsamkeit die Anbindung an ein soziales Umfeld,
  • die Anbindung an die SAPV und/oder ein anderes (regionales ) Netzwerk sowie
  • im erstbehandelnden Krankenhaus der Palliativmedizinische Konsiliardienst.

Und was ihm am meisten fehlte: Die empathische Zuwendung!

Menschliche Zuwendung ist für mich gerade nach über 30 Jahren Palliativmedizin das wichtigste, einfachste und kostenneutralste Suizidpräventivum überhaupt ... und sollte gewiss von uns, bei allem Wissen und Tun, als Merkmal unserer persönlichen Haltung als solche bewahrt werden!

Gemeinsame Forderungen von DHPV und DGS für eine eigenständige gesetzliche Verankerung der Suizidprävention / Zum Papier

Kontakt

Prof. Dr. med. Winfried Hardinghaus
Vorsitzender Deutscher Hospiz - und PalliativVerband e.V.
Aachener Str. 5, 10787 Berlin
w.hardinghaus@dhpv.de

Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin am Franziskus-Krankenhaus
Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité - Universitätsmedizin Berlin
Budapester Straße 15 - 19, 10787 Berlin
hardinghaus@franziskus-berlin.de

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